Ein etwas anderer Kurfürstendamm

Von Silke 5. Juni 2024 Kommentare 7 Min. Lesezeit
Kühe am Kudamm – im Spreewald gibt's dasKühe am Kudamm – im Spreewald gibt's das Foto: Max Saeling / Unsplash

Was Berlin kann, können wir schon lange – so könnten es sich die Menschen in Burg/Spreewald vor vielen Jahren gedacht haben. Und nannten ihre alte Dorfstraße einfach um: in „Kurfürstendamm“. Auf dem geht es ein bisschen ruhiger zu als auf dem Berliner Prachtboulevard….

Von der Buckelpiste zum schicken Asphaltband

Vor drei Jahren* wurde der Kurfürstendamm asphaltiert. Man muss das erwähnen, denn es war ein bedeutendes Ereignis für die Anwohner, deren Zeitrechnung seither zwischen „davor“ und „danach“ unterscheidet. Davor, das waren die Zeiten der Buckelpiste, die sich bei Regen in puren Schlamm verwandelte. Danach, das war der Fortschritt.

Einmal über den Kurfürstendamm, ohne im Stau zu stehen

Am Eingang des Spreewälder Kurfürstendamms wurde, kaum waren die Planierraupen abgezogen, ein blank poliertes Schild in den Boden gerammt. „Fahrradstraße“. Was im Grunde genommen nur eine andere Formulierung ist für „Anlieger frei.“ Und bei dessen Anblick viele Autofahrer das dringende Bedürfnis verspüren, durchzufahren. Einmal übern Kurfürstendamm – ohne im Stau zu stehen. Das ist für den Berliner ein wahres Fest, Anlieger hin oder her.

Bloß der Geruch, der ist anders. Ein Gemisch aus Erde und Kuhdung, aus überreifen Fliederblüten und träge fließendem Wasser. Natur eben. Typisch für den Kurfürstendamm.

Hunde, die mit sich selbst Gassi gehen

42 Menschen leben hier. 15 Häuser verstreuen sich entlang des etwa zwei Kilometer langen schmalen Asphaltbandes, die meisten ein Stück nach hinten versetzt und per nostalgischer Holperpiste angebunden. In vielen Gärten lungern Hunde, die vor dem Haus mit sich selbst Gassi gehen. Jenseits der Gartenzäune: Wiesen, die der blühende Sauerampfer rot gefärbt hat. Und Bäume. Viele Bäume, die im Wind rascheln und den Großstädter erschrecken. Nirgendwo Leuchtreklame. Dafür aber spektakuläre Sonnenuntergänge.

Das Kostüm des Kurfürsten

Und eine Boutique, die einzige am Kurfürstendamm: der Kostümverleih von Helga Rosadzinski. Direkt neben ihrem Haus in Nummer 6 hat sie sich nach der Wende selbstständig gemacht. Weil es ihr damals gegangen war wie vielen. Plötzlich stand sie auf der Straße, nach 23 Jahren als Gärtnerin in der Genossenschaft. Arbeitslos. Da hörte sich Geschäftsfrau doch viel besser an. Ihre Schwester hatte die Idee mit dem Verleih, der im Wohnzimmer begann und inzwischen auf 1000 Kostüme angewachsen ist – vom Ballkleid bis zum Karneval-Fummel. Auch der Kurfürst ist dabei.

Dem Bürgermeister die Schau gestohlen

Der kommt, frisch gebürstet, immer mal wieder zu Ehren am Kurfürstendamm. Bei den Traditionsumzügen im August in Burg etwa. Oder beim jährlichen Kurfürstendammfest, das gerade stattfand. Bei der Eröffnung der Asphaltpiste war er natürlich auch dabei, mit seinem Pferd Rosinante, das aus braunem Stoff und zwei Menschen bestand und ein bisschen wie ein groß geratener Hund aussah. Kurfürst und Rosinante jedenfalls haben dem Bürgermeister, der eigens zum Durchschneiden des obligatorischen rot-weißen Bandes angereist war, ziemlich die Schau gestohlen.

Der Straßenname klingt irgendwie weltstädtisch

Sie sind stolz auf ihren Kurfürstendamm, die Anwohner. Klingt irgendwie weltstädtisch und in jedem Fall besser als „Dorfstraße“. Früher hieß der Weg „Verbindungsstraße Stradower Weg/Naundorfer Straße“, was im Personalausweis schon mal zwei Zeilen beanspruchte. Und fast länger war als die Straße, die einst als Knüppeldamm mit dicken Hölzern überm feuchten Untergrund angelegt worden war.

Ammen, Briefträger oder Kurfürst?

Irgendwann tauchte der Kurfürst dort auf. Na gut, eigentlich war es der aus der Straße stammende Bürgermeister, der bei einem Heimatfest im Kostüm des Kurfürsten steckte. Das, so behauptet jedenfalls die Legende, bescherte ihm und der Straße den Namen. Basta. „Und die Berliner haben sich den Namen von uns abgeguckt.“ Sagt Helga Rosadzinski.
Okay, es gibt da noch ein paar andere Ideen, woher der Name kommen könnte. Einige Anwohner tippen auf Ammen, die in Berlin arbeiteten und nach der Rückkehr Berliner Lebensgefühl in Form des Straßennamens mitbrachten. Andere beschuldigen das Preußenregiment. Und dann ist da noch die Geschichte vom Briefträger. Der soll beim Durchradeln des Feldweges ausgerufen haben, hier fahre es sich „so gut wie auf dem Kurfürstendamm“.

Straßenfest mit Männerballett und den Spreewälder Jacob Sisters

Im Grunde genommen aber ist es den Kurfürstendammern ziemlich wurscht, warum ihre Straße heißt, wie sie heißt. Aber er schmückt sie, der Name. Deswegen nennen sie das jährliche Straßenfest auch herrschaftlich Kurfürstendammfest. Ein Ereignis, das längst Kultstatus hat. Mit Kartoffelsalat, Verkleidung aus dem Hause Rosadzinski und Musik. Viel Musik. Dazu Männerballett und Spreewälder Jacob Sisters.

Und getanzt wird. Die ganze Nacht, bis in die Morgenstunden. Dass es dabei laut wird, wen schert’s? Feiern ja alle mit. „Kabbeleien kennen wir hier nicht“, sagt Helga Rosadzinskis Mutter Wilhelmine Werchon mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. Sie muss es wissen, schließlich wohnt sie seit 57 Jahren hier, hat viele Feste gefeiert und viele Nachbarn kennen gelernt. Und meist ist es ohnehin still am Kurfürstendamm. So still, dass man an manchen Tagen schon mal den jubilierenden Vögeln ein „schhh“ zuraunt. Wind fährt durch die Bäume, in weiter Ferne jault ein Hund. Dann wieder: Ruhe.

Kühe am Kudamm

Eine Katze hat sich auf dem Kurfürstendamm zusammengerollt und gibt ihren Schlafplatz nur widerwillig auf, als ein Auto naht. Was so selten geschieht, dass der Landwirt Klaus Schulz hinter einem wackligen Zaun sekundenlang aufschaut, um sich dann wieder einem goldbraunen Rindvieh zu widmen, das an einem Obstbaum angebunden ist. Nein, in Berlin sei er noch nicht gewesen, gibt er wortkarg zu verstehen. Dieser Kurfürstendamm vor seiner Haustür ist der einzige, den er kennt. Touristen lachen manchmal ein bisschen, wenn sie vorbeifahren. Sagt er und zuckt die Schultern. Kühe am Kudamm, das finden sie lustig.

Sechs Kilometer bis zum nächsten Geschäft

Aber dass man neben diesem Kudamm Boot fahren und angeln kann, dass es Himbeerbüsche gibt und manchmal ein Traktor die gesamte Straße einnimmt, das fasziniert den Großstädter, auch wenn er vergeblich nach Kinos oder Geschäften sucht. Dann schmunzeln die Kurfürstendammer. Sie sind es gewöhnt, für ein paar Socken nach Burg zu fahren. Sechs Kilometer bis zum nächsten Geschäft – da kann man sich schon mal richtig ärgern, wenn man zu Hause feststellt, dass man das Waschmittel vergessen hat.

Immer mit der Ruhe, bloß keine Eile

Immerhin Getränke gibt es zu kaufen, bei Helmut Balting am Kurfürstendamm 4. Der nächste Nachbar von Helga Rosadzinski erzählt, dass er in dem Haus geboren wurde, in dem er heute noch wohnt. Nebenbei führt er noch eine Landwirtschaft und genießt es, dass man dem Nachbarn nicht auf die Teller schaut, wenn man aus dem Fenster guckt.
Helmut Balting sieht Grün hinter der Fensterscheibe. Viel Grün. Das von Büschen halb verdeckte Haus des Berliner Paares, das bei schönem Wetter seine Wochenenden am Kurfürstendamm verbringt. Und die Straße, von der ein Feldweg zu seinem Grundstück führt. In der Einfahrt thront ein schwarzer Hund, der träge den Kopf hebt, wenn ein Kunde Bier kaufen will. Immer mit der Ruhe, sagt sein müder Blick, bloß keine Eile.

Übungspflaster fürs Moped

Bei soviel heiler Welt fragt man sich, was Jugendliche wohl mit sich anfangen in einer solchen Straße. Keine Saufgelage, keine Graffiti. Kein Rumhängen an der Bushaltestelle. Was daran liegen könnte, dass es keine Bushaltestelle gibt. Und Burg-Dorf mit Schule, Läden und jugendkompatiblen Ablenkungen ist nicht eben um die Ecke. Für Martin Göbel, mit 15 einer der jüngsten in der Straße, heißt das: Radfahren. Noch. Denn der Junge aus Nummer 13, der mit rotblond gefärbter Mähne und hippen Klamotten am Kurfürstendamm wie ein Exot wirkt, macht gerade den Moped-Führerschein. Der Kurfürstendamm ist dabei ein prima Übungspflaster für Martin und seine orangefarbene Schwalbe.

„Ich will hier nicht weg“

1996 sind die Göbels in das urige Spreewaldhäuschen gezogen. Stadtflucht im Kleinen sozusagen, aus dem etwas größeren Vetschau. Martin macht nicht den Eindruck, hier irgendwas zu vermissen. „Ich find’s cool“, versichert er und murmelt etwas von „jeder hilft jedem“ und „Ich will nicht weg“. Einmal aber wollte er doch den großen Kurfürstendamm sehen, den in Berlin. Und suchte dort nach Nummer 13, dem Gegenstück zu seinem Zuhause. Wie es ihm gefallen hat, das behält er aber lieber für sich.

Was bleibt, ist der Tourismus

So idyllisch es hier ist – nicht alle bleiben am Kurfürstendamm. Junge Leute zieht es weg aus dem Spreewald, in dem Arbeit Mangelware geworden ist, seit es kaum noch Industrie gibt. Was bleibt, ist der Tourismus. Sagt Christa Materna. Die Schwester von Helga Rosadzinski ist vom Kurfürstendamm nach Burg gezogen. In den Ort, wie es heißt. Was sich anhört, als sei es sehr weit entfernt von dieser stillen Straße. In der Worte wie Arbeitslosigkeit klingen wie eine andere Sprache und doch allgegenwärtig sind.

Arbeitsflucht im Kleinen

Wer nicht wie Helga Rosadzinski oder Helmut Balting sein eigener Boss ist, der muss sehen, wo er bleibt. Arbeitsflucht könnte man das nennen. Die Ziele heißen Cottbus. Oder Jänschwalde. Oder Burg. Oder, wenn’s geht, noch näher. Eines der fünf Kinder von Hildegard Fiedermann blieb in Fleißdorf hängen, das man vom Hof der Eltern aus beinahe sehen kann.

Für Plaudereien bleibt immer Zeit

Frau Fiedermann hat fast ihr ganzes Leben in dieser Straße verbracht, im Haus ihres Vaters, das die Landwirtin und ihr Mann immer weiter ausgebaut haben. Als Kind hat sie zugeguckt, wie die Straße angelegt wurde. Heute ist die 81-Jährige so etwas wie die gute Seele des Kurfürstendamms. Die im blaugeblümten Arbeitskleid den Haushalt schmeißt, während sich ihr Mann um die Hundesippe kümmert. Für Plaudereien bleibt da immer Zeit. Über die neuen und alten Zeiten. Die Nachbarn. Und, ach ja, die Straße.

Vom Berliner Kurfürstendamm zurück in die Heimat

„Den Kurfürstendamm in Berlin finde ich ja interessanter“, lästert sie. Klingt gefährlich nach Heimat-Verrat. Aber schließlich hat sie schon mal in Berlin gewohnt, zu Kriegszeiten. Und die Zuneigung war so groß, dass sie bei der Rückkehr in den Spreewald bittere Tränen vergoss. Sie ließ sie trocknen – und blieb. Denn wirklich wegziehen? Dafür reichte die Liebe dann doch nicht.

*Hinweis: Diese Geschichte von mir erschien am 27. Juni 2004 in der gedruckten Berliner Morgenpost.

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